„Ich will gewinnen!“ Allzu oft wird man als Trainer:in mit Zielsetzungen konfrontiert, bei denen man sich fragt: helfen diese Ziele wirklich? Darum soll es in diesem Beitrag gehen: wie kann ich in Zusammenarbeit mit Athlet:innen eine Zielsetzung aufstellen, die nachhaltige Leistungsverbesserung erzeugen kann?
Das wichtigste in Kürze
Zielsetzung dient als Tool, das Leistungsfähigkeit optimieren soll – nicht als stumpfe Aufnahme von Dingen, die man erreichen möchte
Eine Zielsetzung sollte in Kooperation mit Athlet:innen ausgearbeitet werden
Lang-, mittel- und kurzfristige Ziele werden genutzt, um eine Zielhierarchie aufzustellen
Der Fokus sollte v.a. auf Handlungen liegen, welche kurzfristig den Weg für Erreichung der mittel- und langfristigen Ziele erlaubenZiele sind nicht da, um erreicht zu werden
Ziele sind nicht da, um erreicht zu werden
Zu Beginn hilft es, wenn wir mit einem Irrtum aufräumen: Ziele, die wir mit unseren Athleten setzen, sind nicht da, um tatsächlich erreicht zu werden. Zielsetzung sollte viel mehr als ein Tool verstanden werden, welches wir nutzen, um eine bestmögliche Leistungsentwicklung zu ermöglichen. Das zeigt sich auch in dem mittlerweile veralteten Gebrauch von Zielsetzungstools wie SMART und etwaigen Abkömmlinge davon (s. Swann et al., 2021). Selbstverständlich ist es wichtig (und richtig) ein oder mehrere große Ergebnisziele zu haben, jedoch ist das häufig nicht ausreichend. Denn im Idealfall wollen wir eine Teilnahme an Training und Wettkämpfen ermöglichen, welche bei Nachwuchsathleten zu einer prozessorientierten Verbesserung über einen längeren Zeitraum führt. Wichtig dabei ist allen voran: jede Art von Ziel, die ausgearbeitet wird, sollte im Idealfall selbst von Athleten gesetzt und von uns als Trainer und Trainerinnen lediglich kontextualisiert werden.
In der Praxis fängt eine Zielstellung immer mit einer Hierarchie an, dabei unterteilen wir zwischen verschiedenen Zeiträumen: langfristig, mittelfristig, kurzfristig. Dabei können diese Zeiträume individuell angepasst werden – ob das langfristige Ziel eine Olympiamedaille, ein Kaderstatus, ein Profivertrag oder eine Platzierung auf der diesjährigen DM ist, sollte den Einzelnen überlassen werden.
So beginnt man mit einer Art zeitlich sortierten Pyramide mit einem großen, übergeordneten Ziel an oberster Stelle. Darunter stehen dann die mittelfristigen Ziele an: was will die Person in den kommenden (z.B.) sechs Monaten tun, um die Weichen für das langfristige Ziel zu stellen? Das können Verbesserung bestimmter Fertigkeiten, Gewohnheiten, Leistungsparametern oder auch Platzierungen auf Qualifikationsrennen sein.
Dann wird es immer konkreter: was will diese Person kurzfristig, also (z.B.) in den kommenden Tagen und Wochen tun, um einen Beitrag zu diesen mittelfristigen Zielen zu leisten? Hier ist es wahnsinnig wichtig eine gewisse Praxisnähe zu erzwingen.
Schauen wir uns das mal anhand eines Beispiels einer U19 Athletin an:
Langfristiges Ziel: Medaille bei den olympischen Spielen
Mittelfristige Ziele: Kaderstatus in der U23, Verbesserung der Sprintfertigkeiten, Optimierung v. Schlaf
Kurzfristige Ziele: 100% Anstrengung beim Intervalltraining in den kommenden Wochen, an 5/7 Abenden pro Woche um 21 Uhr ins Bett gehen, Gruppenkrafttraining 2x/Woche besuchen
Vor allem die kurzfristigen Ziele tragen hier eine besondere Bedeutung, da sie den Fokus auf Handlungen in naher Zukunft legen und somit die Fokussierung auf den Prozess der tatsächlichen, athletischen Verbesserung in den Vordergrund stellen. Hier kann man durchaus noch weiter reinzoomen und erfragen: was brauchst du, um 100% Anstrengung bei Intervallen leisten zu können? Noch viel spannender wird es, wenn man als Trainer oder Trainerin die Frage stellt: „Was kann ich dir bieten, damit du diese kurzfristigen Ziele erreichen kannst?“
Offene oder geschlossene Ziele?
Teilweise wird in der (Sport-)Psychologie noch gern zwischen Ergebniszielen, Prozesszielen und Leistungszielen differenziert. Diese Herangehensweise kann durchaus spannend sein, führt meiner Erfahrung nach in der Praxis jedoch häufig dazu, dass Athleten viel Zeit damit verbringen zu entscheiden, welche Kategorie jetzt am besten für Ziel XY passt.
Stattdessen unterscheide ich gern einfach zwischen offenen und geschlossenen Zielen. Offene Ziele sind ihrem Namen treu: sie lassen das Ergebnis komplett offen. Äußerungen wie „Ich will einfach Spaß haben“, „Ich streng mich an und schau mal, was geht“ oder „Ich will es spannend machen“ passen in diese Kategorie. Geschlossene Ziele sind dann solche, die sich auf Ergebnisse oder Quoten beziehen (klassischerweise also eher Ergebnis- und Leistungsziele), wie z.B. „Ich will in den Top 3 landen“, „Ich will meine Führung für X Runden halten“ oder „Ich will Gold.“
Die Literatur zu dieser Differenzierung ist im Leistungssport noch nicht allzu dicht besiedelt, aus der allgemeinen Bewegungsforschung lassen sich ein paar Trends abzeichnen: es scheint signifikante individuelle Unterschiede darin zu geben, welche Arten von Zielen sich eher für Leistungssteigerung eignen. Fragebögen dafür sind aktuell wohl in der Pipeline, in der Zwischenzeit mein Tipp: probiert das mit Athleten aus. Lasst sie mal Intervalle mit einem offenen und mal mit einem geschlossenen Ziel fahren und holt Feedback ein, welches Ziel besser getaugt hat. Auch Rennen eignen sich für solche kleinen Experimente, am Ende ist ein Win-Win: die Athleten und Athletinnen können etwas Neues über sich lernen und wir Trainer und Trainerinnen lernen nicht nur etwas über sie, sondern sind dann besser in der Lage, die Zielsetzung für langfristige Leistungssteigerung zu optimieren.
Da war doch noch was?
Prozessziele stehen in dieser praktischen Herangehensweise gewissermaßen in einem Vakuum, können jedoch auch einen zentralen Aspekt darstellen. Vor allem im Nachwuchssport ist eine Prozessorientierung, die mit einer intrinsisch motivierten Leistungserbringung einhergeht, für nachhaltige Teilhabe und Entwicklung im Sport unabdingbar.
Bedeutet so viel wie: im Nachwuchsbereich sollte der Hauptfokus auf Prozesszielen, also Handlungszielen liegen, welche die andauernde athletische und persönliche Entwicklung von Athleten priorisiert.
Das kann Teil von Entwicklungsgesprächen mit etwaiger Zielsetzung sein: welche Dinge glaubt die Person selbst, sollte sie lernen, damit sie sich im kommenden Jahr positiv entwickelt? Welche Defizite möchte sie angehen, welche Stärken mag sie auch stärken?
Wichtig ist hierbei, dass wir stets die Autonomie der einzelnen Athleten in den Vordergrund stellen. Als Trainer oder Trainerin kann ich Empfehlungen aussprechen, v.a. wenn diese von Daten gestützt sind, am Ende ist aber die Wahrnehmung der Person, für die Ziele gesetzt werden, der ausschlaggebende Faktor.
Als letzter, aber durchaus wichtiger Punkt: in Mannschaftskontexten sollte es sowohl eine individuelle als auch eine gemeinsame Zielsetzung geben. Dabei empfehle ich einen hands-off Ansatz, bei dem man die Mannschaft diese Ziele selbst definieren und planen lässt. Im Idealfall passiert das Ganze im Kontext ausgearbeiteter Mannschaftswerte (dazu in einem anderen Beitrag mehr).
Handlungsempfehlungen:
Erstelle regelmäßig eine hierarchische Zielsetzung mit Athleten und Athletinnen
Beachte dabei den Fokus auf kurzfristige Handlungen
Erfrage welche Beiträge du als Trainer für die Erreichung dieser Ziele leisten kannst
Erinnere Deine Athleten regelmäßig an ihre gesetzten Ziele und deren Kongruenz mit ihrem aktuellen Verhalten
Eine Mannschaftszielsetzung sollte durch individuelle Zielsetzungen gestützt werden
Nuckols, G. (2019, November 4). Goal setting: A scientific guide to setting and achieving goals. Stronger by Science. https://www.strongerbyscience.com/goal-setting/
Swann, C., Jackman, P. C., Lawrence, A., Hawkins, R. M., Goddard, S. G., Williamson, O., Schweickle, M. J., Vella, S. A., Rosenbaum, S., & Ekkekakis, P. (2021). The (over)use of SMART goals for physical activity promotion: A narrative review and critique. Health Psychology Review, 17(2), 211-226.