Wenn der Druck zu viel wird

Leistungsdruck aus Trainerperspektive

Das wichtigste in Kürze

  • Leistungsdruck entsteht abhängig von der Bewertung von Leistungssituationen: welche Ressourcen nimmt die Personen wahr und welche braucht sie anhand ihrer Wahrnehmung? 
  • Aus Sicht von Trainern kann man präventiv vor allem im Kontext der Zielsetzung wertvolle Arbeit leisten. Hierbei ist besonderes Augenmerk auf das Setzen von Verfolgungsziel zu legen, anstelle von Vermeidungszielen.
  • Ressourcenwahrnehmung kann bewusst beeinflusst werden: regelmäßige Auswertungen von Trainingseinheiten, verbale Unterstützung und Einbringung von positiven Leistungsfaktoren können hilfreich sein.
  • Achtsamkeit als Fertigkeit kann als eher langfristige Einstellung verstanden werden, welche Athleten dabei hilft ihr eigenes Ausmaß an Leistungsdruck wahrzunehmen und entsprechende Handlungen zu verfolgen 
  • Zuletzt: Leistungsdruck ist nicht rein negativ zu betrachten. Eine gewisse Menge an Leistungsdruck ist sogar notwendig, damit Bestleistungen abgerufen werden können – die Dosis macht das Gift. 

Was ist Druck? 

Druck wird definiert als eine Kombination von Faktoren, die die Wichtigkeit einer guten Leistung bei bestimmten Anlässen erhöhen (Baumeister, 1984). Dabei spielt die eigene Wahrnehmung eine entscheidende Rolle. Der zentrale Aspekt dabei ist die Subjektivität der Wahrnehmung: auch wenn ich als Trainer glaube, dass jemand alles hat, was sie zur Bewältigung einer Situation braucht, so ist deren eigene Wahrnehmung entscheidend darüber, ob Leistungsdruck wahrgenommen wird. 

Wie entsteht Druck? 

Druck entsteht dann, wenn Deine Athleten eine Diskrepanz zwischen den erforderlichen und den verfügbaren Ressourcen im Kontext einer Aufgabe wahrnehmen. Ein negatives Ergebnis dieser Abwägung führt dann, womöglich, zu einer Bedrohungswahrnehmung und einer Stressreaktion. Eine Athletin, die z.B. beim Training auf einer Wettkampfstrecke stürzt kann Leistungsdruck empfinden, weil sie ihre vorhandenen Ressourcen für die Bewältigung dieses Sprungs als zu gering wahrnimmt – selbst dann, wenn meine Wahrnehmung als Trainer davon anders ist. 

Druck vorbeugen durch Zielsetzung 

Ziele spielen eine wichtige Rolle in motivationalen Prozessen und beim Umgang mit Leistungsdruck. Effektive Zielsetzung berücksichtigt herausfordernde, spezifische und zeitlich gestaffelte Ziele, die auf den individuellen Werten und Motiven der Athleten basieren und können dadurch einen vorbeugenden Beitrag im Kontext von Druck leisten. Eine solche Zielsetzung mit Blick auf eine Saison (aber auch auf mehrere Jahre) mit Athleten auszuarbeiten kann sich lohnen, erfordert aber ein entsprechendes zeitliches Investment. 

D. Reichert

Nutzt die unterschiedlichen Arten von Zielen 

 

Folgende hierarchische Aufteilung ist dabei nützlich: 

  • Langfristige Ziele: z.B. Podiumsplatzierungen bei wichtigen Wettkämpfen 
  • Mittelfristige Ziele: z.B. Verbesserung spezifischer Fähigkeiten innerhalb eines Trainingszyklus 
  • Kurzfristige Ziele: z.B. wöchentliche Trainingsziele

Ein Beispiel für eine hierarchische Zielsetzung könnte sein: 

  • Langfristiges Ziel: Teilnahme an der Weltmeisterschaft 
  • Mittelfristige Ziele: Verbesserung der Sprintgeschwindigkeit, Optimierung der Ernährung 
  • Kurzfristige Ziele: wöchentliche Trainingsziele wie spezifische Zeitvorgaben/Wattzahlen beim Intervalltraining 

Wichtig bei einer solchen hierarchischen Aufstellung ist, dass v.a. die kurzfristigen Ziele sehr konkrete Handlungen nach sich ziehen. So könnte man hier beispielsweise noch weiter „reinzoomen“ und nachfragen: welche Wattzahlen willst du in der nächsten Intervalleinheit einhalten? Was genau kannst du in den Tagen bis dahin tun, damit du in der Einheit leistungsfähig bist? 

Sprachliche Gestaltung und Flexibilität 

Die Formulierung von Zielen sollte positiv und prozessorientiert sein („Ich will“ statt „Ich muss“). Zudem ist Flexibilität entscheidend: Athleten sollten Raum für Abweichungen haben und kleinere Schritte zur nachhaltigen Veränderung definieren. 

Verfolgung vs. Vermeidung 

Ziele sollten positiv formuliert sein („Ich will mit mehr Selbstvertrauen an den Zielsprint gehen“ statt „Ich will nicht mehr so viel Angst haben“), um eine prozessorientierte Herangehensweise zu fördern. Diese sprachlichen Anpassungen brauchen anfangs viel mentalen Aufwand, um sie umzusetzen, dieser Aufwand bleibt jedoch nicht unbelohnt. Wer es schafft das kommunikative Klima generell in der Trainingsgruppe so umzulenken wird bald merken: Athleten sind viel schneller mit ihrer Aufmerksamkeit bei Dingen, von denen sie mehr haben wollen, statt Dinge zu vermeiden. Und das ist wichtig, denn die Literatur zeigt: Vermeidung wirkt sich eher leistungshemmend aus. 

Soweit der Überblick zum Thema Zielsetzung im Zusammenhang mit Druck. Für weiteren Input lohnt es sich auch diesen separaten Artikel zu dem Thema Zielsetzung im Nachwuchssport zu lesen: Zum Artikel

 

Ressourcenarbeit 

Ressourcenarbeit hilft Athleten, ihre Fähigkeiten und Stärken zu erkennen und zu nutzen. Eine Übung könnte darin bestehen, dass Athleten 20-30 ihrer Fähigkeiten auf Zetteln notieren und diese regelmäßig reflektieren. Dies stärkt das Selbstvertrauen und bereitet sie besser auf Drucksituationen vor. Manche tun solche Zettel gern in eine sogenannte „Schatzkiste“ (manchmal auch eine wortwörtliche), andere sammeln die Zettel in einem Buch, oder gar digital – was auch immer für die Athleten gut funktioniert! Wichtig: Du als Trainer sollte ich diese Aufgabe eher im privaten Raum erfüllen lassen und keine Einsicht einfordern. Sollten sich einzelne Personen schwer damit tun, so kann ich die Aufgabenstellung etwas ausweiten und anbieten, dass man sich gegenseitig zu den jeweiligen Stärken austauscht: z.B. in wechselnden 2er-Gruppen sollen sich Athleten gegenseitig sagen, welche Stärken die andere Person mitbringt.  

Meine Rüstung: Ressourcentool 

Womit auch gute Erfahrungen gemacht wurden ist die Rüstung: man nehme ein Blatt Papier, malt darauf eine Ritterrüstung (oder nimmt einen Ausdruck einer solchen Zeichnung) und lässt die Personen, entweder einzeln oder gemeinsam, Stärken an dieser Rüstung notieren 

Auf diese Rüstung kann man dann in Drucksituationen Bezug nehmen, um die Ressourcenwahrnehmung der Personen zu stärken.  

Trainingsauswertungen 

Was sich für erhöhtes Bewusstsein von Ressourcen auch lohnt: eine strukturierte Trainingsauswertung mit Fokus auf gewonnen Ressourcen. Ob in einer App, verbal, oder handschriftlich: man kann Athleten dazu anleiten über folgende Fragen zu reflektieren: 

  • Wobei habe ich mich in dieser Einheit/diesem Wettkampf besonders angestrengt? 
  • Welche kleinen Erfolge habe ich in dieser Einheit/diesem Wettkampf gefeiert? 
  • Worin bin ich als Ergebnis aus diesem Training/diesem Wettkampf besser geworden? Was habe ich über mich gelernt? 

Auch hier ist es wichtig, dass sprachlich auf die Dinge geachtet wird, von denen man mehr will, ergo: mehr Verfolgung statt Vermeidung. 

Achtsamkeit für Informationsgewinn 

Achtsamkeit hilft Athleten, im Hier und Jetzt präsent zu sein und ihre Gedanken und Emotionen zu beobachten, ohne sie zu bewerten. Regelmäßige Achtsamkeitsübungen können diese Fähigkeit verbessern – so kann Leistungsdruck besser wahrgenommen und entsprechend reagiert werden. Als Trainer kann ich also entweder im Training Raum für solche Übungen schaffen, oder sie als „Hausaufgaben“ den Athleten mitgeben.

Vorsicht: das Angebot im Internet ist vielfältig und leider auch mit viel qualitativ fragwürdigen Inhalten bestückt, also Achtung bei der Auswahl. Am besten mal selbst probieren und schauen, was taugt, bevor man es auf Schützlinge loslässt.  

Unter folgendem Link findet sich ein Beispiel einer solchen Übung, das ich in einem anderen Kontext aufgenommen habe. Dies kann frei verwendet werden: Zur Übung 

 

Fazit:

Der Umgang mit Leistungsdruck ist ein komplexer, aber entscheidender Faktor im Radsport. Durch Zielsetzung, Ressourcenarbeit und Achtsamkeit können Trainer ihren Athleten helfen, Drucksituationen besser zu bewältigen und ihre Leistung zu optimieren. Die hier vorgestellten Ansätze bieten eine Grundlage, um eine unterstützende und leistungsfördernde Trainingsumgebung zu schaffen. 

Paul Schlütter ist Teil des BDR-Bildungsteams und Referent des Kurses: BDR-RadCoach Pro – Coaching im Radsport

Copyright Bilder: oskar.hentschel.photography

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