Erfolgsfaktor Werte

Ein Workshopleitfaden unseres Verbands-Psychologen Paul Schlütter

Das wichtigste in Kürze

  • Zusammenhalt im Team ist ein wichtiger Faktor: nicht nur für die Leistung, sondern auch für psychologische Sicherheit und Wohlbefinden
  • Gemeinsame Werte legen ein Grundkonstrukt für positiven Zusammenhalt, der Austausch darüber bietet eine wunderbare Möglichkeit für gesteigerte Autonomiewahrnehmung
  • Eine gemeinsame Ausarbeitung dieser Werte kann eine Richtlinie für das Miteinander und produktive Trainingseinheiten bieten
  • Als Trainerin bin ich hierbei bloß in einer prozessbegleitenden Rolle dabei, Intervention sollte sparsam eingesetzt und eigene Meinungen nur nach Bedarf der Gruppe eingebracht werden

Ob Team, Mannschaft, Duo oder bloß Trainingsgruppe: Zusammenhalt kann sich positiv wie negativ auf die Stimmung in Einheiten und Wettkämpfen, ergo auch auf die Leistungsentwicklung einer gesamten Gruppe oder einzelner Personen auswirken. In diesem Beitrag möchte ich eine (von vielen) Herangehensweise schildern, die ich in meiner praktischen Arbeit für Grundlagenarbeit einer Mannschaft nutze. Am Ende sollten Lesende eine Orientierung dafür haben, wie man eine solche Ausarbeitung selbst durchführen kann.

Was sind Werte?

Ohne zu sehr in die Forschungshintergründe einzusteigen: man kann sich Werte als eine Art Kompass für unser Verhalten vorstellen – sie geben mir eine Richtung vor, wie ich mich in bestimmten Situationen verhalten möchte. Sie sind das Gegenstück zu emotionsorientiertem Verhalten, bei dem es lediglich mein Ziel ist, mich so zu verhalten, dass meine Emotionen dadurch Aufmerksamkeit bekommen. Wenn zum Beispiel eine Mannschaft ein schlechtes Rennen hatte, so könnten sie emotionsorientiert mit ihrem Frust umgehen: sich gegenseitig Vorwürfe machen, Kommunikation abbrechen, gegebenenfalls sogar die Trainer dafür verantwortlich machen. Wenn jedoch im Vorfeld schon klar ist, anhand welcher Werte diese Mannschaft agieren will (weil entsprechende Vorarbeit geleistet wurde), dann sieht das Ganze anders aus. Vielleicht gibt es dann einen zeitlich begrenzten Raum für Emotionen, bevor es in einer offenen Feedbackrunde zur lösungsorientierten Aufarbeitung des Wettkampfes kommt.

Da Werte auch sprachlich nicht leicht zu definieren sind hier eine Auflistung von Beispielen:
  • Achtsamkeit
  • Authentizität
  • Bescheidenheit
  • Demut
  • Durchsetzungsvermögen
  • Ehrlichkeit
  • Empathie
  • Gerechtigkeit
  • Geduld
  • Großzügigkeit
  • Hilfsbereitschaft
  • Integrität
  • Loyalität
  • Mitgefühl
  • Mut
  • Offenheit
  • Optimismus
  • Respekt
  • Selbstbeherrschung
  • Selbstlosigkeit
  • Selbstreflexion
  • Teamwork
  • Toleranz
  • Verantwortung
  • Zielstrebigkeit
  • Zuverlässigkeit

Ab in die Praxis

Für eine Ausarbeitung der Werte im Workshopformat empfiehlt sich zu Beginn eine Exploration über die Wichtigkeit von Werten und warum sie mir als Trainer (oder in meinem Fall als Sportpsychologe) wichtig sind – hier kann jede Person ihre eigenen Gründe vorarbeiten. Die Quintessenz ist: wertebasiertes Verhalten auf individueller Ebene und Teamebene führt langfristig zu einem besseren Trainings- und Wettkampfumfeld und fördert den Zusammenhalt einer Gruppe.

Ein Vorwort zur Grundhaltung: als Trainer sollte ich eine bewusste Entscheidung darüber treffen, wie viel meiner eigenen Ansichten ich in diesen Workshop mit einfließen lassen möchte. In meiner Praxis mache ich das v.a. von meinem Bauchgefühl bzgl. der Beziehungen zwischen Trainer und ihren Athleten fest, so oder so lasse ich Trainer ihren Input in jeder der Runden zuletzt geben.

 

Teil 1: Ausarbeitung eigener Werte

Nach einer kurzen Einleitung lässt man die Personen aus der Gruppe für 5 Minuten individuell ihre Werte ausarbeiten, am besten schriftlich. Dazu nutzt man diese beiden Fragen:

1: In einer Situation, in der ich schlechte Leistung erbracht habe, welche Werte waren mir da wichtig?

2: In einer Situation, in der ich gute Leistung erbracht habe, welche Werte waren mir da wichtig?

Hierzu kann die obige Liste an Werten dazugeholt werden, alternativ finden sich auch diverse Auflistungen online. Wichtig: wenn Personen eigene Werte mit einbringen wollen, dann ist das natürlich erlaubt.

Sobald dies vollbracht ist, geht es in die zweite Runde der individuellen Ausarbeitung für ca. 5 Minuten unter Berücksichtigung der folgenden Frage:

Wenn ich an meine (nicht nur sportlichen) Vorbilder denke, welche Werte verkörpern diese in ihrem Verhalten?

Im Anschluss lässt man in kleineren Gruppen (2-4 Personen je Gruppe) einen Raum für Austausch untereinander (5-10min). Im Anschluss öffnet man die Gruppendiskussion und listet alle Werte auf einem Flipchart (oder einem großen Stück Papier). Etwaige Überlappungen (z.B. „offene Kommunikation“ und „faire Kommunikation“) kann man dann in Kooperation zusammenführen, damit am Ende keine Dopplungen vorkommen.

 

Teil 2: Werte und kontextabhängiges Verhalten

Wenn nach dem ersten Teil die gewählten Werte sichtbar sind, geht es auf die Teamebene um die große Frage: welche Werte sind uns in welchen Situationen besonders wichtig? Hierzu gibt es jeweils unterschiedliche Kontextsituationen, für welche die 2er Gruppen in 5 Minuten ihre Antworten ausarbeiten und entsprechende Punkte auf dem Flipchart geben. Der Trick dabei: für jede Situation darf jede der 2er Gruppen maximal 3 Striche an dem Flipchart der zuvor ausgearbeiteten Werte machen. Dies kann man dann farblich auch kodieren, z.B. Erfolgssituationen in grün, Niederlagen in blau, Konfliktsituationen in rot und Fürsorge in gelb. Als Trainer sollte ich hier stets auch Überschneidungen der Werte im Blick behalten und um Klarstellung aus der Gruppe bitten, bevor ich selbst zum Abschluss meine eigenen drei Striche setze.

Hier die vier Fragen für die jeweiligen Situationen:
  1. Wie wollen wir uns bei Erfolgen verhalten?
  2. Wie wollen wir uns bei Niederlagen verhalten?
  3. Wie wollen wir uns bei Konflikten verhalten?
  4. Wie wollen wir uns fürsorglich verhalten?

Diese empfehle ich eins nach dem anderen durchzugehen – erst die Frage stellen, dann 5 Minuten Zeit geben in 2er Gruppen auszuarbeiten, bevor die Gruppen nacheinander ihre drei Striche setzen. Wichtig dabei ist auch, dass man hin und wieder nach konkreten Beispielen fragt: in welcher Situation war dieser Wert für euch besonders relevant? Wo ist er vielleicht zu kurz gekommen?

Wenn dieser Prozess abgeschlossen ist, öffne ich die Runde erneut für Gedanken oder Kommentare über das Ergebnis: was ist auffällig? Ist irgendetwas dabei, das unstimmig wirkt? Gibt es Werte, die man hier zusammenlegen könnte? Durch die visuelle Darstellung mit den Strichen lässt sich auf einen Blick gut abschätzen welche der Werte sich als die wichtigsten herauskristallisieren, jedoch sollte man erneut überprüfen, ob es diesbezüglich noch Unsicherheiten oder Ungenauigkeiten in der Gruppe gibt.

 

Teil 3: Verpflichtung durch Unterschrift

Wenn die Werte aus der Gruppe soweit durchgearbeitet wurden, bleibt noch eine Aufgabe: die Verpflichtung zur Einhaltung dieser Werte. Im Workshopkontext lasse ich dies durch Unterschrift aller Beteiligten inklusive Datierung auf dem Flipchart verewigen – dieses Stück Papier kann dann abfotografiert, aufgehängt oder zu einem späteren Zeitpunkt nochmal visuell aufgefrischt werden. Was man damit macht, ist am Ende jeder Trainer selbst überlassen, einen gewissen Mut zur Kreativität kann ich da nur empfehlen!

 

Fazit

In diesem Beitrag konnte ich hoffentlich den groben Ablauf eines Workshops zur Ausarbeitung von Teamwerten wiedergeben. Dabei soll es jedoch nicht bleiben, denn unter folgendem Link findet Ihr die (leicht angepasste) Präsentation, die ich für exakt dieses Thema bei einem Bundeskader genutzt habe: https://t1p.de/c0ghp. Diese dürft ihr gern als Quellmaterial nutzen.

 

Paul Schlütter ist Teil des BDR-Bildungsteams und Referent des Kurses: BDR-RadCoach Pro – Coaching im Radsport
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